In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag wurde die israelische Flagge, die am Fahnenmast vor dem Solinger Rathaus hing, heruntergerissen und verbrannt, der Vorfall gefilmt und über die sozialen Medien verbreitet. Die Stadt Solingen hatte die Fahne zur Erinnerung an die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und Deutschland am 12. Mai 1965 gehisst.

Leonid Goldberg. Foto: Daniela Tobias

Unterstützer:innen und Vertreter:innen des Bündnisses Solingen ist Bunt statt Braun, der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen, des Solinger Stadtrates und des Verwaltungsvorstandes trafen sich am Nachmittag des 15. Mai 2021 mit dem Vorsitzenden der Jüdischen Kultusgemeinde, Leonid Goldberg, und Oberbürgermeister Tim Kurzbach zu einer Kundgebung vor dem Rathaus. Leonid Goldberg, Dr. Ilka Werner, die Superintendentin des Evangelischen Kirchenkreises Solingen, Daniela Tobias für das Bündnis Solingen ist Bunt statt Braun und Oberbürgermeister Tim Kurzbach hielten Ansprachen.

Leonid Goldberg betonte, dass derartige Angriffe keine Dumme-Jungen-Streiche sondern Terrorismus seien und die Aktionen der letzten Tage in seinen Augen geplant und abgestimmt wirken. „Kritik an der israelischen Regierung ist selbstverständlich möglich, aber wenn Flaggen oder Synagogen angegriffen werden, dann handelt es sich um Antisemitismus!“ Er bedankte sich für die Solidarität der Mehrheit der Solingerinnen und Solinger.

Ilka Werner. Foto: Daniela Tobias

Ilka Werner erklärte: „Die aktuelle Gewalt zwischen Israelis und Palästinensern stellt laut die Frage danach, was solidarische Freundschaft gerade jetzt bedeutet. Sicher nicht bloß zustimmendes Nicken. Aber auch kein Einknicken in schwieriger Zeit.“. Die Fahne herunter zu holen und zu verbrennen sei keine Kritik, sondern Hetze und wolle Angst machen. Die ganze Ansprache findet sich auf der Webseite des Evangelischen Kirchenkreises Solingen.

Tim Kurzbach. Foto: Daniela Tobias

Oberbürgermeister Tim Kurzbach war es wichtig, dass zu der Kundgebung wieder eine israelische Flagge neben der deutschen wehte. „Diese Botschaft der Einheit richtet sich an diejenigen wenigen, die glauben, durch das Verbrennen von Symbolen Zwietracht und Feindschaft säen zu können. Diese Rechnung wird nicht aufgehen.“ Er hofft auf einen schnellen Erfolg bei der Ermittlung der Täter.

Das Solinger Tageblatt berichtete am Samstag: „Stadt wehrt sich gegen Antisemitismus“.

Daniela Tobias bezog sich in ihrer Rede auf die gerade eröffnete Ausstellung „… und laut zu sagen: Nein.“ des Vereins Max-Leven-Zentrum Solingen über die Geschichte der NS-Zeit in Solingen.

Daniela Tobias. Foto: Stadt Solingen

Wir sind heute hier, um laut zu sagen: Nein. Denn der sprachlich verschleierte Antisemitismus lässt sich nicht trennen vom offenen Antisemitismus, der in Gewalt umschlägt. Wo Hass gegen Juden zu brennenden Flaggen führt, wie gestern hier in Solingen, sind auch Menschen nicht mehr sicher. Dessen müssen wir uns bewusst sein, dagegen müssen wir eintreten.

Es darf nicht zur Normalität werden, dass jüdische Bürgerinnen und Bürger in unserem Land zur Zielscheibe offener Hetze und von Verschwörungstheorien werden, die doch immer den gleichen alten Kern in sich tragen, der schon die Mörder von Max Leven umtrieb.

Artur Bolthausen gehörte in der Pogromnacht 1938 zu den vier Männern, die das Ehepaar Leven überfielen. Er war der einzige, der im Nachkriegsprozess vor dem Wuppertaler Landgericht offen an seinen antisemitischen Überzeugungen festhielt. Er sagte 1947 aus: „Ich hatte keinen Hass gegen den einzelnen Juden als Person, sondern rein instinktiv eine Abscheu gegen die jüdische Rasse, welcher nicht erst durch die nationalsozialistische Lehre in mir erweckt wurde, sondern schon längst bedingt war, durch meinen langjährigen Umgang mit Juden im Orient, in der Hauptsache in Palästina selbst.“ Bolthausen hatte zusammen mit seinem Vater Julius, einem Reisepionier, längere Zeit im Nahen Osten verbracht.

So wie er haben Antisemiten schon lange vor Gründung des Staates Israel auch die Situation in Palästina als Vorwand genutzt, wenn sie ihre Ressentiments gegen Juden auslebten, egal wo sie sie antrafen. Die Hartnäckigkeit dieser irrationalen Verschwörungsgläubigkeit ist verstörend. Und sie hat nichts mit legitimer politischer Kritik an der Regierung Israels gemein.

Einige von uns kennen Menschen in Israel, die die letzten Nächte in Luftschutzkellern verbringen mussten, weil die Hamas hunderte von Raketen wahllos nach Israel feuerte. Es gab Tote. Andere kennen Menschen, die in Gaza nicht wissen, wo sie Schutz suchen sollen, wenn das israelische Militär Gegenschläge ausführt. Auch auf dieser Seite sind Tote zu beklagen.

Wir kennen diese Spirale der Gewalt und Gegengewalt. Wenn es uns ein Anliegen ist, diese Spirale zu stoppen und glaubhaft für Menschenrechte einzutreten, dann dürfen wir den Hass und die Gewalt auch bei uns nicht zulassen, keinen Antisemitismus dulden, weder latenten und schon gar nicht offenen. Genauso entschieden müssen wir den rassistischen Narrativen der Rechten entgegentreten, die das Problem des Antisemitismus gerne ausschließlich auf „die“ Muslime projizieren, während er gerade bei unseren selbsternannten „Querdenkern“ gefährliche Blüten treibt.

Lassen Sie uns aufmerksam sein und laut Nein sagen zu Antisemitismus, egal wo wir ihm begegnen und wie er auftritt. Lassen Sie uns Ja sagen zu Menschenwürde und friedlicher Konfliktlösung. Danke.

Etwa 70 Teilnehmer:innen kamen zu der Kundgebung. Foto: Daniela Tobias