Journalist Uli Preuss überließ uns seinen Text für die Marathon-Lesung „Vogelschiss und Widerstand“ zur Veröffentlichung. Vielen Dank!

DACHAU

Immer wenn ich Dachau besucht habe, regnete es. Selbst im August 2018 goss es wie aus Eimern. Dieser Regen war kein warmer Sommerregen, er war kalt und ungemütlich, ein Regen, der Dir in die Kleidung kriecht und unter die Haut geht. Fast schien es, als wollte Gott kübelweise seine eisige Verachtung auf diesen Ort gießen, an dem die Nationalsozialisten Andersdenkende, Andersfühlende und Andersglaubende quälten und brachen.

Gedenkstätten wie Buchenwald oder Dachau erden dich. Zeigen sie dir doch, wie winzig der Schritt aus der Gegenwart zurück zum Vogelschiss der Geschichte sein kann.

Dachau, das erste von gut 1000 Konzentrations-, Neben- und Vernichtungslagern auf europäischem Boden und das einzige KZ, das seinen irrwitzigen Vernichtungsauftrag von 1933 bis zum Schluss 1945 ausführte. Was in Dachau aber genauso fehlte wie in den anderen Lagern, war der letzte Funken Menschlichkeit. In Auschwitz etwa starben fast 1,5 Millionen Menschen wie am Fließband, doch in Dachau, kaum 20 Kilometer vor den Toren Münchens, wurde vor dem Leben der Gefangenen vor allem ihr Wille vernichtet.

In Dachau gehe ich an diesem Donnerstag durch Pfützen, über nassen Kies auf die Ausstellungsbaracken und Fundamente zu, die mir offenbaren sollen, was kein normaler Mensch glauben möchte. Eine eindrucksvolle Ausstellung mit Bildern, die man nicht zwei Mal sehen mag, versucht mich mitzunehmen in die Zeit damals. Längst habe ich den Regen vergessen, das Wasser läuft mir über die nassen Haare in den Kragen. Ungemütlich, aber was ist das alles gegen die Qualen von einst.

Dachau, da waren die Unbequemen eingesperrt. Angesehene Männer, denen man in den 20er Jahren noch mit Respekt begegnet war. Pfarrer, die man gerade noch auf der Straße mit Hochwürden angesprochen hatte, saßen hier tagelang in Hungerbunkern, wurden auf Böcke geschnallt und mussten mitzählen, wie oft der Ochsenziemer traf. Geistliche waren viele in Dachau, Priester, Bischöfe, Mönche. Sie zu foltern, zu töten und ihnen alles zu nehmen, was sie ausmachte, war den Nazis ein kalkuliertes Bemühen. In Gedanken schweife ich ab, denke an Pfarrer Martin Spanlang, den jungen Oberösterreicher, den man in Buchenwald zu Tode kreuzigte. In Dachau kamen allein über 340 Geistliche bei sogenannten Malaria-Versuchen ums Leben. Insgesamt ließen dort

  • 2.579 katholische
  • 109 evangelische
  • 22 griechisch-orthodoxe
  • 8 altkatholische
  • 2 muslimisch Geistliche

ihr Leben.

Und heute? Wen würden Nazis von heute dort inhaftieren? Den Walder Pfarrer Bernd Reinzhagen, weil er sich um Flüchtlinge kümmert? Superintendentin Ilka Werner, die den Mund aufmacht und kritisiert? Pfarrer Christian Lerch, der in Höhscheid Kirchenasyl gewährte. Pfarrer Meinrad Funke, der gar aus einem verhassten Flüchtlingsboot predigte. Angesichts immer mehr werdender Symphatisanten rechter Gedanken müssen wir uns diese Überlegungen gefallen lassen.

Es nieselt jetzt in Dachau. Und dennoch sind hier viele Menschen im Regengrau. Keine Schulklasse kichert, kein dummer Spruch fällt, das grauenvolle Lagerleben von einst macht betroffen.

Bis 1942 waren hier auch viele Juden inhaftiert. Himmler ließ sie später in die großen Vernichtungslager deportieren. Doch schon nach der Reichspogromnacht wurden auch jüdische Mitbürger nach Dachau gebracht. Elf Solinger etwa, von denen sich in seiner Verzweifelung Gustav Joseph, der bis dahin an der Diepenbrucher Strasse gelebt hat, im Januar 1939 das Leben nahm. Oder getötet wurde. So genau weiß man das heute nicht mehr. Die anderen zehn wurden zwar wieder entlassen, wenige von ihnen überlebten den Krieg oder die Judenverfolgung. Unter den ersten Mordopfern in Dachau waren vor allem Kommunisten und Sozialdemokraten und damit politische Gegner der Nationalsozialisten. Dachau war kein Vernichtungslager im klassischen Sinne, doch wurden hier mehr politisch motivierte Morde verübt als in den KZ anderswo. Und wieder stelle ich mir die Frage. Wer wäre das heute und hier? Welcher Gutmensch, welcher Politiker? Oberbürgermeister Tim Kurzbach etwa, der sich für ein WIR von 140 Nationen in dieser Stadt einsetzt? Ex-Ministerin Sylvia Löhrmann oder Ratsfrau Ioanna Zacharaki, die sich für Behinderte und Flüchtlinge stark machen? Oder Hans-Werner Bertl, Daniela Tobias und Erik Piek, die im Bündnis „Solingen ist Bunt statt Braun“ die Zivilgesellschaft gegen rechtes Gedankengut mobilisieren wollen? Die Mitglieder des Vereins Max-Leven-Zentrum Solingen, die uns an Unvorstellbares mittels einer Gedenk- und Bildungsstätte erinnern wollen? Zweifellos, heute würden wohl auch Andersdenkende anderer Parteien verfolgt. Grüne, Liberale, Christdemokraten. Und sicher auch Cem Özdemir, der gerade hier in Solingen die „Schärfste Klinge“ verliehen bekam. Für seinen Sprachwitz, seinen Mut, mit dem er für andere eintritt.

Machen wir uns nichts vor, sie alle wären damals dabei gewesen, wären als Häftlinge für Unterkühlungsversuche, für Höhenversuche, für Tests mit Medikamenten oder bei künstlich herbeigeführten Entzündungen ausgewählt worden wie Ratten und Resusäffchen. Und wer sich geweigert hätte, wäre gestraft worden durch Pfahlhängen, auf dem Prügelbock, in Isolations- und Hungerhaft.

Und wenn diese Häftlinge, die vormals Politiker, Schwule, Geistliche, Juden und Behinderten oder schlichtweg nur Bürger waren, nicht mehr getaugt hätten für diesen Wahnsinn… dann… erst dann wären sie in die Tötungsanlagen gebracht worden. So wie der frühe Attentäter und leider immer noch nicht ausreichend gewürdigte Held Georg Elser.

Mein Dachau am Ende eines Vormittages hat wieder funktioniert. Ich bin hellwach, geerdet. 800.000 Menschen waren 2017 in der Gedenkstätte nahe München. Damit ist Dachau gleich nach Schloss Neuschwanstein die meistbesuchte staatliche Einrichtung in Bayern. Doch noch im Jahr zuvor kritisierte ein Björn Höcke Gedenken dieser Art als „dämliche Bewältigungskultur“… so zumindest zitiert ihn die Süddeutsche im Januar diesen Jahres. Wenige Wochen nach meinem Besuch im Sommer 2018 knackte die AFD in Bayern erstmals die 10 Prozent-Marke. Und von Ergebnissen im Osten der Republik will ich gar nicht erst schreiben.

Auf dem Weg zum Parkplatz schüttele ich die Wetterjacke aus. Der Regen hat jetzt nachgelassen, als wolle er mir ein wenig aus diesem Alptraum heraushelfen.

Das Zitat von Brecht kommt mir in den Sinn. Ich will es für uns aktualisieren: „Der Schoß ist fruchtbarer denn je, aus dem das kroch….!“

Text/Fotos: Uli Preuss/Germany