„Vogelschiss und Widerstand“ – der Abend begann mit einer ironischen Pointe: im Eingangsbereich des Theaters dokumentierte eine kleine Plakatausstellung besonders rassistische, antisemitische und demokratieverachtende Zitate von AfD-Politikern, von Höcke und Gauland bis runter auf die Solinger Kreisebene. Daran vorbei kamen nicht nur das Publikum unserer Marathon-Lesung, sondern auch die Besucher des „Bürgerdialogs“ dreier Bundestagsabgeordneter der AfD im benachbarten kleinen Konzertsaal. Die Polizei, die ebenfalls im Eingangsbereich stand, stellte nach kurzer Lektüre (?) fest, dass diese Zitate auf die Besucher unserer „Nachbarn“ provozierend wirken könnten und empfahl dem Hausherrn dringend, um Gefahr abzuwenden, die Entfernung besagter Plakate. Nun ja, es waren in der Tat harte Worte, die die Parteifreunde dort zu sehen bekamen, aber eben ihre eigenen…

Zur Marathon-Lesung für Zivilcourage und Menschlichkeit kamen im Laufe des fast vierstündigen Programms über 150 Besucherinnen und Besucher. Das Trio „Swingvergnügen“ um Heinz Siering eröffnete den Abend mit der Erinnerung daran, dass jugendlicher Freiheitsdrang zwischen 1933 und 1945 als suspekt, Swing als „undeutsch“ galt und gnadenlos verfolgt wurde. Daniela Tobias wies in ihrer Begrüßung im Namen von „Solingen ist Bunt statt Braun“ darauf hin, dass das Theater und Konzerthaus ein Ort der Kultur und der Begegnung sei, der frei sein muss von ideologischer Engstirnigkeit, die alles, was nicht einer imaginierten deutschen Tradition entspricht als „schlichtes ornamentales Dekor von Obrigkeit“ diffamiert, wie zum Beispiel im Wahlprogramm der AfD Thüringen nachzulesen war. Es wurde dort den Künstlern eine unterwürfige Komplizenschaft mit Politik über finanzielle Abhängigkeiten unterstellt. Diese vermeintliche Abhängigkeit wird jedoch mitnichten kritisiert, sie soll in Zukunft aber dafür sorgen, dass nur noch das der AfD genehme „Schöne, Wahre und Gute“ gefördert wird.

Deshalb haben wir genau diesen Ort nutzen und zeigen wollen, was Solinger Künstlerinnen und Künstler, Autorinnen und Autoren, Musikerinnen und Musiker zur Freiheit der Kunst zu sagen haben. Sie haben eigene Texte und Lieder gelesen und gespielt, oder aus Büchern von Autoren gelesen, die ihre Texte freundlicherweise zur Verfügung gestellt haben. Es ging um Aktuelles und um Geschichten aus der dunklen Vergangenheit Deutschlands, die uns heute manchmal wie ein Déjà-Vu vorkommen.

Claudia Gahrke las Auszüge aus ihrem Programm „Nur noch kurz die Welt retten“ und fragte sich, welche Empfehlungen die großen Influencer der Weltliteratur für die Wohngemeinschaft Erde haben. Andreas Schäfer erinnerte an den Solinger Maler und Widerstandskämpfer Ernst Walsken, der im Dritten Reich verfolgt wurde. Daniela Tobias las ein Kapitel aus dem gerade erschienenen Buch von Kutlu Yurtseven, der mit seiner Rap-Band Microphone Mafia und der Auschwitz-Überlebenden Esther Bejarano seit Jahren durch Deutschland tourt. Es erzählte vom Kampf seiner Eltern für gute Schulbildung ihrer Kinder und für faire Arbeitsbedingungen im Ford-Werk – Menschen, die von AfD-Anhängern auch nach Generationen noch als „Passdeutsche“ diffamiert werden.

Mit Texten von Olaf Link, der leider verhindert war, erinnerten Katrin Dilli und Anette Kugler unter anderem an Max Leven und die Widerstände gegen die Umbenennung einer Straße nach dem in der Pogromnacht in Solingen erschossenen jüdischen Kommunisten. Uli Preuss hob auf die absurden und bösartigen Gerüchte über Familie Genc ab, die jedes Jahr rund um den Jahrestag des Brandanschlags von 1993 immer wieder neu Konjunktur haben. Änne Wagners Erinnerungen „Gegen den Strom?“ lenkten den Blick auf den Mut und das Durchhaltevermögen der Arbeiterschaft, trotz bitterster Armut Menschlichkeit zu bewahren und an eine bessere Zukunft zu glauben. Stephan Schäfer-Mehdi beschäftigte sich mit den Strategieanweisungen des völkischen-nationalistischen Vordenkers Götz Kubitschek. Der Aufsatz „Hitler und Goethe“ von Kurt Tucholsky sorgte zu vorgerückter Stunde nach vielen ernsten und bewegenden Texten für ein paar Lacher.

Zum Abschluss mahnte Hans-Werner Bertl, dass unsere Gesellschaft Deichgrafen brauche, die wachsam sind und die Gemeinschaft zusammenrufen, wenn es gilt anzupacken und mit vereinten Kräften unseren demokratischen Damm zu sichern.